Es ist vorbei. Nicht nur wir, auch der zweite Aufguss der RTL-Dschungelshow "Ich bin ein Star, holt mich hier raus" ist am Ende. Während die RTL-Mächtigen bereits mit einer dritten Staffel drohen, sind wir noch mit der Aufarbeitung der Frage beschäftigt, was uns da wieder passiert ist.
Manchmal hilft es, dreizehn Jahre alt zu sein. So alt ist meine Tochter gerade geworden und hat darum die Fähigkeit, sich noch mit großem Ernst auf alles Mögliche einlassen zu können. Sie braucht sich nicht hinter Sarkasmus oder vorgetäuschter Überlegenheit verstecken, sondern fiebert offen und ehrlich mit.
Als Dirk Bach, den sie gerne eine "schwangere Wanze" nennt, gegen Ende der Show so unvermittelt wie gefühllos grinsend einfach den Costa-Cordalis-Schrein greift und über die Brüstung hinab in den Wald wirft, da ist meine kleine Große richtig geschockt: "Das kann der doch nicht einfach machen!", empört sie sich. Denn schließlich ist Costa Cordalis doch der Dschungelkönig, oder nicht?
Man sieht, selbst bei der RTL-Dschungelshow lernt man was fürs Leben: Nichts ist so, wie es scheint, und wenn doch, dann nur auf Zeit. Der König ist tot, es lebe die Königin.
Die heißt seit gestern Desiree Nick und ist eine Frau, die man seinem Erzfeind als Lebenspartnerin wünscht. Zwei Wochen lang ätzte sie sich durch das kümmerliche Gestrüpp aus RTL-Scheindschungel und Handlungslosigkeit und zeichnete sich gegenüber ihren Mitvegitierenden vor allem dadurch aus, dass sie "vor nichts fies" war, wie meine Oma zu sagen pflegte.
Die Zuschauer folterten die Eisenharte beharrlich mit immer neuen Dschungelprüfungen, die Nick mit ebenso großer Beharrlichkeit kaute und verdaute: Unter den im Camp versammelten Weicheiern hätte sich aber auch keines gefunden, das es bei einem Wettessen mit rohen Känguruhoden mit ihr hätte aufnehmen können. Hut ab, Frau Nick, das war zwar eklig, aber irgendwie auch beeindruckend.
Man sieht: wir haben eine Menge gemeinsam, die abgehalfterten Möchtegern-Stars im Camp und wir auf der anderen Seite der Mattscheibe. Aus völlig unerfindlichen Gründen setzen wir uns einem völlig kindischen wie ekligen Programm aus. Was sagt die Varell, der Willi, der Dingens, der - Mensch, sag mal, wie hieß der noch, der da rausgeflogen ist? Wie auch immer, was sagten die noch? "Mein Leben ist reicher geworden durch das Dschungelcamp"? "Ich habe meine Grenzen erfahren?"
Ich nicht
Ich frage mich, was wir noch alles mitmachen werden. Wenige Stunden nachdem die RTL-Unterhaltungsgülle abgeflossen war, pumpten die PR-Verantwortlichen des Senders die Drohung in die Nachrichtenagenturen, wegen "guter Quoten" eine dritte Staffel in Betracht zu ziehen. Zur Strafe, so zu sagen?
Mal überlegen: wie ließe sich das Konzept denn noch steigern (respektive senken)?
Man könnte die sanitären Bedingungen - wegen denen die Hygienikerin Dolla Buster ja ausgestiegen war - noch weiter verschlechtern. Könnte man vielleicht statt immer nur verbalen Dünnschisses mal richtig echten zeigen, in der von unten gefilmten Perspektive? Geht leider nicht, wegen der so wichtigen Quote in der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49-jährigen. Da viele ja glatt der ganze minderjährige Block weg.
Aus gleichem Grund verbietet es sich, dass sich die Kandidaten beim nächsten Mal in der Dschungelprüfung gegenseitig verspeisen, was eigentlich schade ist. Man stelle sich nur vor, wie sich (meine Wunschbesetzung) Oliver Kahn und Dieter Bohlen ineinander verbeißen und dabei hinterrücks von Frau Westerwelle erlegt werden, während Nena am Lagerfeuer "Ich geh mit Dir, wohin Du willst" krakeelt, dem Titelsong der dritten Merchandizing-CD, von der dritten Riege talentfreier W-Prominenter besungen, die aufgrund des wohlabgehangenen Alters der plagiierten "Musik" noch nicht einmal einen Prozess befürchten müssen.
Doch das sind nur schöne Träume
Warscheinlicher ist, dass es den genialen Fernsehmachern einmal mehr gelingt, uns TV-Sklaven den Spiegel vorzuhalten. Sie kennen den Effekt: Sie betreten das Wohnzimmer, sehen diesen Dumpfmatsch über den Monitor flimmern und sagen: "Das ist ja unglaublich. Wer sieht sich den so einen Schwachsinn an?"
Erschüttert sinken Sie in ihren Fernsehsessel und lassen sich - nur für ein paar Minuten - auf dieses erschreckende Nicht-Niveau hinab. Sie fühlen, wie sich Ihr Gehirn verflüssigt und aus den Ohren läuft. Sie schimpfen und echauffieren sich, sie lachen abfälligt und amüsieren sich über diesen Chaotenhaufen verzweifelter Ex- oder Noch-nie-Promis, die sich dort mit der Hoffnung auf Anerkennung vor Millionen zum Affen machen.
Unglaublich ist das, und plötzlich sind vierzehn Tage vorbei und Desiree, für die sie aus reiner Nickeligkeit und um ein bisschen subversiv zu sein bewusst gegen die letzten Gutmenschen im Camp abgestimmt haben, ist Königin. Denn so wie Sie stimmten auch die meisten anderen, was Sie - ach Du Schreck - plötzlich zum Dschungelcamp-Mainstream macht, zum durch und durch durchschnittlichen Durchschnittszuschauer. Eiskalt der Schreck, als Sie erkennen, dass Desiree, die bei seinem Abschied noch nicht einmal der ach so soziale, liebe Willi drücken wollte, nun auch Ihre Königin ist. Desiree, Königin des Dschungels und der selbstironischen, sarkastischen, überlegenen und offensichtlich ferngesteuerten Massenelite vor dem RTL-Bildschirm.
Nach Willis Abschied saß gestern Nacht die Varrel (zur Erinnerung, bevor man sie wieder vergisst: das war die mit dem netten, deutlichen Lachen) demonstrativ grübelnd am Lagerfeuer. "Ich versteh das nicht", sagte sie und meinte, warum die "Schlange" Desiree nicht abgeholt wurde statt des lieben Willis. "Da muss ich erst mal drüber nachdenken."
Ich lieber nicht.
Gefunden auf
Spiegel Online